Jüdische Lobby 10. Okt 2024

Pflicht-Termine in «I-I-I»

Ron Kampeas analysiert die jüdische Gemeinschaft in den USA.Bis zur Covid-Pandemie war die jährliche Konferenz von AIPAC in Washington mit zuletzt über 18000 Teilnehmern auch ein Pflichttermin für…

Ein Gespräch mit Ron Kampeas von der «Jewish Telegraphie Agency» über den Einfluss und die Verwandlung des «American Israel Public Affairs Committee» (AIPAC) von einer Massenorganisation zu einer direkt in Wahlkämpfen engagierten Lobby. 

aufbau: Ron Kampeas, Sie arbeiten seit den 1980er Jahren für jüdische Medien in Israel und den USA, wo Sie 2003 die Leitung des Washington-Büros der Jewish Telegraphic Agency (JTA) übernommen haben. Wann haben Sie sich als Journalist erstmals mit AIPAC befasst, dem «American Israel Public Affairs Committee»? Die «offizielle Pro-Israel-Lobby» in den USA wurde 1954 gegründet, gewann aber erst allmählich die heutige Statur als einflussreiche und neuerdings auch direkt politisch aktive Kraft.
Ron Kampeas: Ich habe Ende der 1980er Jahre in Israel gelebt und für die «Jerusalem Post» geschrieben. Zuvor war ich dort bei «The Nation», einem kurzlebigen Magazin, und habe mich mit «jüdischer Macht» auseinandergesetzt. Dabei ging schon damals kein Weg an AIPAC vorbei. Die Organisation war bereits zu einem Modell für jüdische Organisationen etwa in Australien geworden.


Wie erklären Sie diesen Erfolg?
Als ursprüngliches Erfolgsgeheimnis erscheinen mir die Disziplin und die breite Verankerung von AIPAC als «Graswurzelorganisation» in jüdischen Gemeinden landesweit. Das widerspricht diesem Image einer Abhängigkeit von ein paar superreichen Spendern. Diese sind natürlich wichtig. Aber bis zurCovid-Pandemie hat AIPAC alljährlich in Washington eine Konferenz abgehalten.


Die immer mehr Teilnehmer angezogen hat, zuletzt bis zu 18 000 – ein Pflichttermin für Politiker beider Parteien.
Ja, deren Teilnehmerzahl hatte 2003 bereits 3000 erreicht, damals habe ich den Event erstmals gecovert. Das waren enorme Zahlen. Und der Termin war immer so gelegt, dass die Aktivisten am letzten Tag – stets ein Dienstag, wenn Abgeordnete wieder in der Hauptstadt sind – jedes der 535 Kongressmitglieder besuchen konnten. Und natürlich waren Abgeordnete und Senatoren mit den jeweiligen Besuchern schon bekannt, weil die in deren Heimatbezirken stetig Lobby-Arbeit bei ihnen betreiben. Dabei hatte AIPAC stets ganz konkrete Anliegen – wie etwa die Aufforderung zur Unterstützung der heute bei jährlich vier Milliarden Dollar liegenden Hilfen für Israel, oder bei Resolutionen und Gesetzesentwürfen. Gleichzeitig hat die Organisation nicht direkt mit Spenden in die Politik eingegriffen – wohl aber Gleichgesinnte zur Unterstützung bestimmter Persönlichkeiten aufgerufen. Oder auch nicht.


Das hat sich 2022 mit der Gründung des«United Democracy Project» (UDP) und des «AIPAC PAC» geändert. Diese «Politischen Aktionskomitees» sind Spendenorganisationen, die heuer bis zu 100 Millionen Dollar für Wahlkampagnen präferierter Kandidatinnen und Kandidaten einsetzen wollen.
Ja. Aber lange war AIPAC eine Graswurzel-Lobby-Organisation, die keinen Unterschied zwischen den Parteien gemacht hat. Und Mitglieder unterstützten als «pro-Israel» eingestufte Politiker auch auf lokaler Ebene als freiwillige Wahlhelfer. Dieser Fokus auf Basisarbeit und Loyalität war eine grosse Leistung von Tom Dine, dem Geschäftsführer von 1980 bis 1993. Der hat AIPAC erst zu einer echten Massenorganisation gemacht, die nicht nur in jüdischen Zentren wie New York oder Miami aktiv war, sondern eben landesweit, wo immer es Gemeinden gibt. Dine brachte damit Juden mit Sympathien für Israel allerorten in einer Organisation zusammen. So wurde AIPAC Mitte der 1980er Jahre eine Macht, mit der selbst gut etablierte Politiker zu rechnen hatten. Und das auch in Regionen mit kleiner jüdischer Bevölkerung.


Zum Beispiel?
Damals hat der Republikaner Jesse Helms die Hilfen für Israel im Senat abgelehnt. Der Vertreter von North Carolina war ein Ultrarechter, der heute mit Tucker Carlson vergleichbar wäre. AIPAC hat Anzeigen gegen ihn geschaltet, die Israel nicht erwähnt – aber Helms als Rassisten bezeichnet haben. Die Gruppe warb bei den Vorwahlen 1984 für seinen Konkurrenten, einen Schwarzen. Bei den Hauptwahlen warf der Demokrat Jim Hunt dem Senator vor, «der grösste FeindIsraels» in der oberen Kongresskammer zu sein. Helms gewann, aber nur knapp, undpolitisierte fortan stets auf der Linie vonAIPAC. Viele Kongressmitglieder sympathisieren ohnehin mit Israel. Aber Helms war sehr zynisch und hatte nur Respekt vor starken Gegenspielern. Und so lernte er AIPAC fürchten.


Gleichzeitig hat sich AIPAC auf die Realitäten der amerikanischen Politik eingestellt. Denn im Kongress geben sich Vertreter jeder nur denkbaren Interessenorganisation bei Politikern die Klinke in die Hand.
Genau. Wer in Washington gehört werden will, muss sich gut organisieren und ständig Präsenz zeigen. Und deshalb folgen führende Köpfe wie Präsident Michael Tuchin – ein Anwalt aus Los Angeles – oder die Vorstandsvorsitzende Betsy Berns Korn – die im Sportmarketing aktiv ist – dem professionellen Management. Dort ist seit 27 Jahren Howard Kohr federführend, der seine Position Ende Jahr aufgibt. Nachfolger wird der bisherige Stellvertreter Elliot Brandt. Ganz wichtig bei AIPAC ist ein strikter Fokus auf Anliegen der Gruppe beim Lobbying. Wer bei Meetings mit Politikern versucht, persönliche Anliegen – etwa im Umweltschutz – beim Lobbying für die Organisation vorzubringen, hat absolut keine Zukunft bei AIPAC. So wurde der Verband eine Art Club, aus dem man nicht ausgestossen werden will – selbst wenn man sehr reich ist. Das Genie von Howard Kohr liegt so auch darin, dass er sogar den Spendern Furcht vor ihm – und der Organisation – einjagt.


Wie stellt Kohr das an?
Er geniesst einen Ruf als kompetent und zuverlässig – und er hält stets auf die Kernmission von AIPAC, also einer engen Abstimmung mit der jeweiligen Regierung in Israel. Das wurde etwa 2007 während der Bush-Ära deutlich. Damals drang Aussenministerin Condi Rice auf eine Neubelebung von Friedensverhandlungen, die dann zu der letztlich ergebnislosen Annapolis-Konferenz führten. Rice wollte den Kongress zur Erhöhung der Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde von 20 auf 400 Millionen Dollar bewegen, um den neuen PA-Vorsitzenden Mahmoud Abbas verhandlungsbereiter zu stimmen. Gary Ackerman, der damalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, hat auf den Wunsch von Rice hin eine entsprechende Resolution verfasst. AIPAC hat den Vorstoss trotz interner Skepsis unterstützt, aber nur auf niedrigstem Niveau. Denn die Olmert-Regierung in Israel war zumindest nicht gegen diese Aufstockung. Dann hat Sheldon Adelson von dem Manöver Wind bekommen.


Der 2021 verstorbene Casino-Mogul und wichtige Spender für konservative, jüdische Anliegen.
Ja. Sheldon war ein grosser Unterstützer von AIPAC. Und er war furchtbar empört über die Haltung der Organisation in der Sache. Aber Howard erklärte ihm: «Nimm dein Geld, wenn dir das nicht passt – wir ändern unsere Haltung nicht.» Adelson hat mit AIPAC gebrochen. Aber Kohr hat die Zuverlässigkeit und Nähe der Organisation zu Israel belegt. Er weiss: Wir können in Washington nicht effektiv sein, wenn wir nicht eng mit der jeweiligen Regierung Israels zusammenarbeiten. Der Schlüssel zu wirklichem Einfluss liegt eben darin, dass eine Regierung und Politiker – und hier jene Israels und der USA – bereit sind, sich mit einer Organisation an einen Tisch zu setzen und deren Anliegen aufzunehmen. Jede jüdische Organisation in den USA will, dass die Öffentlichkeit über ihren engen Kontakt zur Regierung in Israel Bescheid weiss.


AIPAC wird zudem nachgesagt, dass deren Einfluss auch auf dem Mangel an einer gut organisierten Opposition beruht.
Das trifft in gewisser Hinsicht zu. Denn mitJ Street hat AIPAC seit 15 Jahren zwar Konkurrenz. Aber der Gründer Jeremy Ben-Ami hat damit letztlich auch eine Organisation geschaffen, die es vor allem linken Demokraten – die Netanyahu ablehnen – erlaubt, ihre Sympathie für Israel zu bezeugen. Inzwischen spricht J Street offizielle Unterstützungen für die Hälfte der Demokraten im Kongress aus. Aber selbst Progressive nehmen dazu gerne ein «Endorsement» von AIPAC an. Das mag Leser überraschen: Aber ein weiteres Erfolgsgeheimnis der Organisation liegt darin, dass AIPAC die Grenzen der eigenen Macht erkennt. Der Verband hat 2015 mit ganzer Kraft gegen den Iran-Deal der Obama-Regierung gewirkt. Aber nach der Verabschiedung im Senat hat AIPAC dennoch weiter mit Demokraten zusammengearbeitet, die das Abkommen befürwortet hatten, aber ansonsten immer sehr pro-Israel gewesen waren. Und damalige Sprecher von AIPAC haben ihre Ablehnung des JCPOA ausführlich und sachlich begründet.


Lassen Sie uns hier einen Schritt zurück gehen. Denn eigentlich haben amerikanische Juden erst langsam im engeren Sinne «jüdische Anliegen» wie etwa die Holocaust-Erinnerung in der amerikanischen Öffentlichkeit aufgegriffen und betrieben. Dies gipfelte um 2000 in der erfolgreichen Kampagne des Jüdischen Weltkongress und der Jewish Claims Conference für materielle Gerechtigkeit für NS-Sklavenarbeit oder «Holocaust-Konten» bei Schweizer Banken. In den 1930er und 1940er Jahren wollte etwa der Roosevelt-BeraterSamuel Rosenman den Eindruck vermeiden, dass Amerika für jüdische Anliegen – also die Rettung der europäischen Juden vor den Nazis – in den Krieg zieht. Sind amerikanische Juden also im Lauf der Zeit selbstbewusster und sich ihres Status als gleichberechtigte Bürger so sicher geworden, dass sie seither «eigene» Anliegen – wie eben die Unterstützung Israels –offen betreiben können?
Das kann man sagen. Vielleicht kennen Sie das berühmte Essay «Concerning the Jews» von Mark Twain aus dem Jahr 1899? Ein jüdischer Anwalt hatte dem Schriftsteller über die damals eskalierende Judenverfolgung im österreichischen Kaiserreich geschrieben. Der berühmte Schriftsteller riet «den Juden» zu mehr Selbstbewusstsein, sie sollten sich politisch organisieren, so wie es die Iren und andere Einwanderergruppen in Metropolen wie Boston oder New York vorexerziert hatten. Twain erwähnte sogar Theodor Herzl. Aber die Entwicklung dahin lief langsam. Einschneidend war dann die Staatsgründung Israels 1948. Nun hatten die bislang «vaterlandslosen» Juden aus Mittel- und Osteuropa ein eigenes Herkunftsland, auf das sie stolz sein konnten, mit dem sie sich identifizieren und um das sie sich sammeln konnten – so wie es Iren, Italiener oder Deutsche immer gehabt hatten.


Und das brachte ein neues Selbstvertrauen?
Ja. Nun gibt es zwar auf der Linken diese Rede, dass Israel die Diaspora dominiert oder schmälert. Aber eigentlich hat Israel die Dia-spora im Gegenteil gestärkt. Zumindest in den USA hat die Gemeinschaft aus der Existenz Israels erheblich an Selbstbewusstsein gewonnen. Denn jetzt gab es einen jüdischen Staat, der immer wieder erstaunliche Leistungen vollbracht hat. Womöglich ist es problematisch, ein Staatswesen auf diese Weise zu verklären und zu einem spirituellen Anliegen zu machen. Und die Bindung der eigenen Identität an einen anderen Staat bringt natürlich auch vertraute Spannungen. Aber insgesamt hat Israel der «Normalisierung» von Juden in den USA wirklich Vorschub geleistet – sie waren nun Bürger wie Nachkommen von anderen Immigrantengruppen auch. Politisch wurde das im Nordosten durch die Formel «I-I-I» greifbar.


Aha.
Ja, Politiker etwa in New York oder Connecticut mussten fortan Italien, Irland und Israel besuchen, um Respekt vor den Herkunftsländern von Stimmbürger zu demonstrieren. Und nach dem Krieg gaben jüdische Entertainer die Angewohnheit von Vorläufern auf, die der Karriere halber ihre Namen in «Lauren Bacall» oder «John Garfield» geändert hatten. Betty Joan Perske oder Jacob Garfinkle hätten «zu jüdisch» geklungen. Eine Barbra Streisand hielt dies nicht mehr für notwendig. Und dazu hat Israel wirklich beigetragen.


Dies galt jedoch für Demokraten und Republikaner? Denn Sie erklären den Erfolg von AIPAC mit dem guten Verhältnis zu beiden Parteien. Da gab es aber bereits in der Obama-Ära einen Bruch, oder? Denn gleichzeitig nahmen auch die Spannungen zwischen der Obama- und der von Binyamin Netanyahu geführten Regierung in Israel zu.
Das stimmt. Jüdische Organisationen in der Diaspora haben generell die Position, dass sie Israel keine Vorschriften gerade in der Sicherheitspolitik machen können. Schliesslich leben sie weit weg von den Konflikten in der Region. Aber natürlich heisst das noch lange nicht, dass Diaspora-Juden und deren Organisationen immer auf der gleichen Linie mit der jeweiligen Regierung Israels liegen.


Die vor dem 7. Oktober mit den Plänen zu einer «Justizreform» massive Proteste im eigenen Land ausgelöst hat.
Aber AIPAC hat diese Spannung ausgehalten. Das ist gar nicht so leicht. Denn eigentlich ist die Organisation wie ein Handelsvertreter, der hier in den USA eine Ware selbst dann anpreisen und verkaufen muss, wenn er mit dem Produkt selbst gar nicht zufrieden ist. Und obendrein darf der Verkäufer auch keinen Einfluss auf die Produktentwicklung nehmen. Hier sehe ich einen Grund für die Entstehung von J Street als Diaspora-Organisation, die eben nicht unbedingt auf der jeweiligen Linie Israels liegt, sondern aus eigenen Überzeugungen heraus auch Kritik üben können will. Das ist für andere Amerikaner ja durchaus üblich.


Inwiefern?
Bürger hier schauen meist auf sämtliche Aspekte der Politik anderer Staaten und kritisieren China vielleicht für die bedrohliche Haltung gegenüber Taiwan – oder sie achten mehr auf die Beschränkung von Bürgerechten im Inneren. In Bezug auf Israel galt bislang jedoch, dass die Aussen- und Sicherheitspolitik immer Vorrang hatte. Amerikanische Juden haben dagegen nur selten auf innenpolitische Vorgänge geachtet. Wenn, dann wurde dort eher Kritik laut. Denn die meisten Juden hier lehnen die Hegemonie der Orthodoxen in der Gesellschaftspolitik ab. So gab es Ende 2011 eine Riesenaufregung, als Ultraorthodoxe in Beit Shemesh nahe Jerusalem ein achtjähriges Mädchen bespien und bedroht haben, weil ihre Kleidung angeblich unzüchtig war. Dann durfte eine Wissenschaftlerin einen Preis nicht persönlich annehmen, weil der zuständige Minister strenggläubig war. Solche Geschichten finden enorme Beachtung unter amerikanischen Juden. Diese Empörung über Vorgänge in Israel hat die Zurückhaltung bei der Sicherheitspolitik lange nicht berührt. Aber das hat sich allmählich geändert. Denn fängt man einmal mit Kritik an, dann lässt sich diese Tür kaum mehr schliessen.


Das klingt logisch.
Hier sind Episoden aus dem Jahr 2015 wichtig. Damals ging die Netanyahu-Regierung immer härter gegen Migranten aus Afrika vor. Von Kabinettsmitgliedern wie MiriRegev waren rassistische Parolen zu hören, wie sie seinerzeit auch Donald Trump propagiert hat. Das ging amerikanisch-jüdischen Organisationen zu weit und sie haben das kritisiert. Einschneidender war die Einladung von John Boehner an Netanyahu, vor dem US-Kongress gegen das von Obama betriebene Atomabkommen mit Iran zu sprechen. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses hat den Auftritt über Monate insgeheim mit Mitch McConnell im Senat und dem israelischen US-Botschafter Ron Dermer eingefädelt – also weder das Weisse Haus noch die Demokraten im Kongress informiert.


Auch AIPAC wurde im Dunkeln gelassen?
Ja. Netanyahu kam dann am 3. März 2015 und hat das Abkommen als «very bad deal» verurteilt – und das in einem gegenüber Obamaherablassenden Ton. Die Rede wurde daher als persönliche Beleidigung des US-Präsidenten und Verrat an einem Verbündeten aufgenommen. Demokraten wie Nancy Pelosi haben das Netanyahu und den Republikanern nie verziehen. Spätestens damit war der Konsens der Parteien zu Israel vorüber. Netanyahu wurde legitimerweise als Parteigänger der Republikaner betrachtet und damit zu einer Zielscheibe demokratischer Politiker.


Wie hat AIPAC damals reagiert?
Ich habe off-the-record gehört, dass die Organisation wirklich sauer über das Manöver war. Aber sie sind eben enorm diszipliniert und haben das nicht gezeigt, sondern die Rede verteidigt und weiter gegen den Iran-Deal gearbeitet. Im Kongress waren jüngere, schwarze Abgeordnete besonders empört – die empfanden die Töne Boehners und Netanyahus gegenüber Obama als herablassend und rassistisch.


Welche Konsequenzen hatten diese damals aufgebrochenen Risse?
Ich bin mir da nicht sicher. Aber dieser Entschluss zur Einstellung der jährlichen Konferenz in Washington während Covid ging womöglich auch aus der Erwartung hervor, dass dort zunehmend ein Missverhältnis sichtbar werden dürfte: dass also immer weniger Demokraten erscheinen und der Event zu einer republikanischen Veranstaltung wird.


Damit wäre die Selbstdarstellung als «überparteilich» nicht mehr haltbar? Wie Gangs bemerkt, greift AIPAC seit 2022 mit Spendensammeln und gezielten Attacken auf Politiker direkt in das Geschehen ein.
In der Tat. Das ist schon eine tiefgreifende Wende mit offenkundigen Nachteilen. AIPAC wird dadurch ein Ziel für Attacken von links, wie sie etwa Bernie Sanders zu mobilisieren sucht. Wie mir der United-Democracy-Project-Sprecher Patrick Dorton erklärt hat, kam die Organisation aber auch zu der Einsicht, dass «Politik heute sehr schnell abläuft» und Jahreskonferenzen und Massenlobbying einfach nicht mehr zeitgemäss und zu umständlich sind. Heute erscheinen der Organisation direkte Interventionen durch Spenden an Politiker und Kampagnen gegen als «anti-Israel» eingestufte Kontrahenten als effektiver.


Genau das hat aber die Mobilisierung auf der Linken gegen AIPAC ausgelöst. Das ist bislang nicht sonderlich effektiv. Aber das UDP zieht vor allem gegen linke schwarze Frauen wie Nina Turner in Ohio, Summer Lee in Pennsylvania oder zuletzt Cori Bush in Missouri in den Wahlkampf. Dies meist erfolgreich.
Ich kann momentan nicht abschätzen, wohin dies längerfristig führt. Aber das macht gelegentlich schon einen ziemlich schlechten Eindruck und wirft die Frage auf, ob die Organisation damit Spannungen zwischen Afroamerikanern und der jüdischen Gemeinschaft schafft. Doch gleichzeitig unterstützt das UDP auch weiterhin Politiker beider Parteien, und selbst progressive De-mokraten nehmen die öffentliche Unterstützung von AIPAC gerne an. Ich verstehe allerdings nicht, warum das UDP nun selbst etwa in Maryland eingreift und bei Kongressvorwahlen die Demokratin Sarah Elfreth gegen ihren Parteikollegen Harry Dunn unterstützt hat. Der Afroamerikaner hat sich als Polizist beim Sturm auf das US-Kapitol am6. Januar 2021 heldenhaft verhalten – und nie Kritik an Israel geäussert. Das erscheint als überzogen.


Zudem halten die Biden-Regierung und die Mehrheit der Demokraten im Kongress an der Unterstützung Israels im Gaza-Krieg fest. Gleichzeitig sind aussenpolitische Fragen für die meisten Amerikaner letztlich doch zweitrangig. Oder bringt der Gaza-Krieg da doch eine neue Qualität?
Es gibt gewisse Anzeichen dafür. Am Wahlparteitag der Demokraten in Chicago sind die erwarteten Massendemonstrationen gegen das Vorgehen der IDF in Gaza und die amerikanischen Waffenlieferungen an Israel zwar ausgeblieben. Und selbst bei einem Event der «Democratic Socialists of America» war Palästina nicht das dominante Thema. Viel mehr Aufmerksamkeit fand der persönliche Bericht einer jungen Aktivistin aus Lateinamerika, die panische Angst davor hatte, dass Trump als Präsident ihre Mutter als «Illegale» deportieren würde. Diese jungen Linken waren sich ziemlich einig: «Wir müssen Trump verhindern – alles andere ist zweitrangig». Von daher erwarte ich zumindest kurzfristig keinen tieferen Bruch bei den Demokraten und eine breitere Ablehnung Israels auf der Linken. Womöglich überwinden auch Muslime in Michigan ihre Kritik an Biden und unterstützen ihn doch erneut gegen Trump.


Der womöglich einen neuen «Muslim-Bann» bei der Immigration verhängen könnte?
Ja. Und wenn es doch noch vor den Wahlen im November zu einem Waffenstillstand in Gaza kommt, verliert das Thema wohl an brennender Aktualität. Gleichzeitig gibt es schon Anzeichen für einen Bewusstseinswandel bei arabisch-amerikanischen Gemeinschaften in Michigan und anderswo. Denn es gibt ja weiterhin viele jüdische Spender, für die Israel keine Priorität hat und denen Themen wie das Recht auf Abtreibung näher liegen. Bei Amerikanern arabischer Herkunft oder muslimischen Glaubens fehlte dagegen bislang ein zentrales Thema und das Einwanderungsrecht hatte eine deutlich höhere Priorität als Palästina. Zudem haben diese Bürger bis zur Jahrtausendwende überwiegend republikanisch gewählt – viele sind Freiberufler, Kleinunternehmer oder Geschäftsleute. Das hat sich erst nach 9/11 und dem «Krieg gegen den Terror» des Republikaners George W. Bush gewandelt, der als anti-muslimisch angesehen wurde und Araber als Feinde Amerikas darstellte. Doch mit dem Gaza-Krieg ändert sich das nun. Es bleibt abzuwarten, wohin diese Entwicklung läuft. Spannend könnten die Konsequenzen einer Niederlage Trumps dennoch werden.


Inwiefern?
Dann könnten die Republikaner zu einer Partei nach den Vorstellungen von JD Vance werden. Der lehnt eine Einmischung Amerikas in überseeische Konflikte stärker und prinzipieller ab als Trump.


Und sein guter Freund, der RechtspopulistTucker Carlson, kritisiert die «bedingungslose Unterstützung Amerikas» neuerdings immer lauter als «unverständlich».
Ja. Von daher droht der israelfreundlichen Gemeinschaft in den USA womöglich neues Ungemach.

Andreas Mink